„Wir müssen agil werden!“ Hören Sie diesen Satz derzeit auch immer wieder? Verbunden damit, dass Teams agil arbeiten sollen und alles insgesamt flexibler und vor allem schneller gehen muss? Vielleicht hat sich Ihr Unternehmen auch bereits auf den Weg gemacht und setzt auf die ganz große „agile Transformation“? Oder wird bei Ihnen in erster Linie in IT-Projekten agil gearbeitet?
Warum „Agilität“ mehr ist als ein überstrapazierter Begriff und warum es gerade für Betriebsräte absolut sinnvoll ist, sich intensiv und frühzeitig mit diesen Arbeitsformen zu beschäftigen, darum geht es in diesem Artikel.
Im Kern beschreibt die angestrebte Agilität einer Organisation ihre Fähigkeit, wendig und flexibel auf Veränderungen am Markt reagieren zu können. Und viele Unternehmen haben derzeit gute Gründe, sich in dieser Hinsicht neu zu erfinden: Digitalisierung, steigende Kundenanforderungen und aus dem Nichts auftauchende Wettbewerber, der Fachkräftemangel und Mitarbeiter, die um ihren Marktwert wissen. Herausforderungen wie diese sind existenziell, sie gefährden nicht selten die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens am Markt.
Das Konzept der Agilität verspricht passende Antworten auf die Fragen, die sich aus diesen Herausforderungen ergeben. Es beinhaltet Instrumente und Methoden der Zusammenarbeit und hinterfragt grundlegende Unternehmens-Prozesse (und bringt damit nicht selten auch die Machtverhältnisse in einer Organisation ins Wanken). Kein Wunder also, dass Agilität derzeit in aller Munde ist.
Neben diesen eher sichtbaren Elementen des agilen Ansatzes gibt es auch weniger sichtbare, aber umso wichtigere Prinzipien und Werthaltungen, ohne die agile Arbeit nicht die gewünschten Erfolge zeigt:
- Unbedingte Ausrichtung auf den Kundennutzen als DER Treiber allen unternehmerischen Handelns
- Selbstorganisation der (meist crossfunktional zusammengesetzten) Teams, ohne ständige Kontrolle durch Führungskräfte, stattdessen durch ein agiles Rahmenwerk geleitet
- Iteratives Vorgehen in kurzen, ungestörten Zyklen, mit „Inspect and adapt“-Haltung und entsprechender Irrtums-Toleranz
- „Pull statt Push“, d.h. Mitarbeiter überblicken am besten selbst ihre derzeitige Arbeitslast und Interessengebiete und übernehmen entsprechend eigenverantwortlich Aufgaben und Rollen
Diese Prinzipien haben eines gemeinsam: Sie setzen Werthaltungen wie gegenseitiges Vertrauen, Mut, Transparenz, Respekt und Verantwortungsübernahme aller Beteiligten voraus. Genau die Werte und Prinzipien also, für die viele Betriebsräte in ganz Deutschland schon seit vielen Jahren kämpfen. Es gibt also eine Schnittmenge zwischen den Prinzipien der Agilität und der Werthaltung vieler Betriebsräte.
Nun möchte ich nicht verhehlen, dass sich der Ruf nach Agilität in vielen Unternehmen derzeit noch auf die sichtbaren Elemente beschränkt und die ebenso wichtigen Prinzipien und Werthaltungen im Arbeitsalltag vernachlässigt werden. Die negativen Auswirkungen dieses Vorgehens, dem eine große Methoden-Gläubigkeit zugrunde liegt, sind vielfältig, aber fest steht: Orientierungslosigkeit kann die Folge sein. Mitarbeiter fühlen sich beispielsweise überfordert, wenn sie von heute auf morgen in selbstorganisierten Teams ganz „agil“ Kundenbedürfnisse erfüllen sollen, ohne dass notwendige Rahmenbedingungen ebenfalls angepasst wurden. Viele Kollegen und besonders auch Führungskräfte finden sich in ganz neuen Rollen wieder, häufig ohne Klarheit darüber, was genau das in der Konsequenz bedeutet und wie es individuell umgesetzt werden kann.
Als Betriebsrat können Sie in einer agilen Transformation daher eine wichtige Rolle als Mitgestalter sinnvoller agiler Arbeitsumgebungen spielen.
Aber wie passen unbedingte Marktausrichtung, crossfunktionale Teams und sich dadurch verändernde Rollen zusammen mit den eher langwierigen Abläufen und Entscheidungsprozessen klassischer Betriebsratsarbeit? Ehrlich gesagt: gar nicht!
In den letzten beiden Jahren habe ich verschiedene BR-Gremien in agil arbeitenden Unternehmen begleitet. Die Frage war dabei nie, wie der Betriebsrat mit den gewohnten Mitteln der betrieblichen Mitbestimmung die Einführung agiler Arbeitswelten am besten kontrollieren kann. Dieser Ansatz führte in der Vergangenheit eher zu einem ständigen Hinterher-Hecheln in entscheidenden Projekten und im schlimmsten Fall zum Burnout einzelner BR-Mitglieder oder ganzer Gremien. Es wurde den BR-Kollegen vielmehr klar, dass die Rollen und Prozesse im Betriebsrat selbst angepasst werden müssen, um sich selbst nicht stets als Bremser und Verhinderer zu fühlen, sondern wieder an Einfluss zu gewinnen.
Die Frage ist also: Wie können Betriebsräte schritthalten mit dem Tempo und der Tiefe der Veränderungen, die zunehmend von vielen Beteiligten gewollt sind? Und die auf die klassischen Forderungen von Arbeitnehmervertretern einzahlen? Dazu ein paar bereits von anderen BR-Gremien erprobte Lösungsansätze:
Agile Transformationen werden nicht von langer Hand geplant, sondern selbst auch agil erarbeitet, d.h. jedes Unternehmen und Team findet im „inspect and adapt“-Modus seinen eigenen Weg und eigene Lösungen, um effizienter, flexibler und marktorientierter zu arbeiten. Management und Mitarbeiter ziehen an einem Strang und kommunizieren auf Augenhöhe, sie eint dabei das gemeinsame Ziel. Das bedeutet, dass wichtige Ideen und Entscheidungen häufig in den neu entstandenen cross-funktionalen Teams spontan entstehen und vereinbart werden.
Verabschieden Sie sich als Betriebsrat von der Idee, die so getroffenen Vereinbarungen im Nachhinein im Gremium langwierig und bis in alle Eventualitäten regeln zu können. Vielmehr ist es notwendig, dass Sie sich von Anfang an in wichtigen Veränderungsprojekten sehr aktiv beteiligen und Lösungen offen und konstruktiv mitgestalten, also „mittendrin statt nur dabei“ sind.
Stellen Sie sich dazu als BR-Gremium breit auf, ungeachtet der Unterscheidung zwischen freigestellten und nicht freigestellten Mitgliedern. Achten Sie darauf, dass sich nicht immer dieselben, sondern verschiedene Kollegen in Projekten und Teams beteiligen. Die Auswahl sollte dabei „pull statt push“ nach persönlichem Interesse für ein Thema erfolgen, um die notwendige Energie für die Veränderungs-Arbeit mitzubringen.
Diese Kollegen sollten ermächtigt sein, im (Projekt-)Team direkt Entscheidungen mitzutragen und nur im Konfliktfall oder bei wirklich schwerwiegenden Entscheidungen erfahrene BR-Mitglieder oder das gesamte Gremium zurate zu ziehen. Dies sorgt in der Regel für bessere, schnellere und stringentere Ergebnisse im Projekt und Sie verstärken als Betriebsrat ihren positiven Einfluss auf die Veränderungen.
Wenn Sie in der agilen Transformation ernst genommen werden wollen, müssen Sie außerdem selbst als Gremium Ihre Hausaufgaben machen und agil arbeiten, sich also auf die Veränderungen Ihres internen „Marktes“ einstellen.
Schauen Sie dazu auf Ihre eigenen internen Entscheidungswege und Strukturen. Verteilen Sie auch hier Entscheidungskompetenzen, zum Beispiel direkt in die Ausschüsse oder sogar einzelne Untergruppen, um schneller und flexibler reagieren zu können. Dies setzt ein hohes gegenseitiges Vertrauen und eine offene, transparente Kommunikation voraus – wie ist es darum in Ihrem Gremium bestellt?
Wie effizient sind außerdem Ihre eigenen internen Arbeitsweisen? Nutzen Sie insbesondere die technischen und digitalen Lösungen, welche im Rest des Unternehmens bereits gang und gäbe sind? Hier ist es erfolgskritisch, dass es keine Verzögerungen und keinen Bruch in der Kommunikation nach außen gibt und Sie anschlussfähig bleiben.
Um bei all diesen Anforderungen handlungsfähig zu bleiben, sollten Sie sich als Betriebsrat auf die wirklich wichtigen Themen fokussieren. Hüten Sie sich davor, weiterhin viel Energie in undankbare Themen wie Parkplatz-Regelungen und Raucherpausen zu verschwenden. Bemuttern Sie einzelne Kollegen nicht, sondern stärken Sie deren Eigenverantwortung in Ihrer Vorbildfunktion als konstruktiver Mitgestalter bei Veränderungen.
Willkommen in der agilen Arbeitswelt!